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Dieses Thema hat 1 Antworten
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 Einsatz i. d. Volkswirtschaft / Fremdwachen / Naturkatastrophen
Erik_Graue Offline



Beiträge: 32
Punkte: 46

06.09.2013 12:13
RE: "Ernteschlacht" Herbst 1978 Antworten

Im Zusammenhang mit dem Thread Katastrophenwinter 79/79 fiel mir wieder ein, dass auch schon 3 Monate vorher ein groß angelegter Einsatz in der Volkswirtschaft für sehr viele Einheiten des MSR-16 fällig war.

Im September/Oktober 1978 marschierten große Teile des Regiments, darunter auch die AklK, zur mehrwöchigen Erntehilfe in die Börde, in den damaligen Landkreis Haldensleben, Bezirk Magdeburg (heute Bördekreis, davor Ohrekreis).
Ich erinnere mich noch gut an das imponierende LKW-Marschband des Regiments, als wir die Westtangente meiner Heimatstadt Magdeburg Richtung Auffahrt A2 passierten und ich nicht mal für 5 min. kurz aussteigen konnte ...

Die AklK war für die Zeit der Erntehilfe (etwa 3-4 Wochen) in dem klitzekleinen Ort Tundersleben, direkt an der A2, im großen Saal des dortigen Gasthofes untergebracht, die anderen Einheiten dann überall verstreut in diversen Dörfern. Das ganze Gebiet gehörte zu der selbst für DDR-Verhältnisse riesigen und steinreichen LPG Hakenstedt, gleich neben dem heutigen LKW-Rasthof Uhrsleben und somit gerade mal 15 km von Helmstedt entfernt.

Die Erntehilfe lief wie immer unter dem seit Jahrzehnten bewährten Motto:

„Wir gründen eine LPG – die Arbeit macht die Volksarmee“.

In erster Linie fehlten wohl damals aktuell vor allem Transportkapazitäten, sowohl an Fahrzeu-gen als auch an Kraftfahrern.

Zu Beginn wurden deshalb alle Armeeangehörigen ausgegliedert, die im Besitz der LKW-Fahrerlaubnis Klasse V waren, in der AklK waren das meist die Unteroffiziere.
Diese fuhren dann den Rest der Zeit des Einsatzes in einem gesonderten Kommando in Tag- und Nachtschichten zivile LKW’s W-50 mit diesen dicken Ballonreifen, die den Transport des Erntegutes – meist Kartoffeln – von den Feldern zu den Lagern sicherstellten.
Die Offiziere hatten natürlich auch alle die Klasse V und ich wäre gern mal für ein paar Wochen mit `nem LKW rumgekutscht, um den „Fahrriemen zu schleifen“. Aber nix da mit Fahren, ab auf’s Feld zu den Soldaten.

Aber auch die durch die Kompanien zum Mannschaftstransport mitgeführten NVA-LKW’s wollten die LPG-Vorsitzenden natürlich gleich für sich reklamieren. So fuhr z.B. der abgespriegelte URAL der AklK 3 Tage lang Kies aus einer knapp 20 km entfernten Kiesgrube zum LPG-Wirtschaftshof, wo gerade ein neues Sozialgebäude gebaut wurde.
Wer sich an die geringe Höhe der Bordkanten des URAL’S (nach 2 Baggerschaufeln war er voll und der Kies rutschte schon über die flachen Planken) und dessen enormen Spritverbrauch erinnert, erahnt den volkswirtschaftlichen Unsinn solcher Maßnahmen. Das wurde dann auch bald vom Zentralen Erntestab des 11. MSD in Bebertal bei Haldensleben generell verboten.

Die Hauptkräfte der AkLK, ständige Anzugsordnung Schwarzkombi, waren meist ganztägig in der Kartoffelernte eingesetzt. Eigentlich war ja schon alles mit Erntemaschinen mechanisiert, aber in einem ca. 30-40 m breiten Streifen rund um das Feld, dem sogenannten Vorgewende, in dem die riesigen Erntemaschinen zum Wenden einen Vollkreis für die nächste Erntespur fuhren, mussten die Kartoffeln vorher von Hand verlesen werden. Also wurde von uns jeden Tag mit dem Drahtkorb in der Hand ein ganzes, riesiges Feld sammelnd umrundet.
Wir Offiziere hatten natürlich nicht nur Aufsichtspflichten, sondern arbeiteten voll mit, wäre sonst auch viel zu langweilig geworden.

Da hab ich zum ersten Mal auch einen typischen Unterschied zur Sowjetarmee gesehen, die eines Tages auch eine Kompanie zu unserem Feld delegiert hatte. Der verantwortliche Leutnant stand den ganzen Tag in seiner schmucken, sauberen Dienstuniform mitten auf dem Feld, las ununterbrochen stehend (!) in einem dicken Buch und hat sich wohl nicht ein einziges Mal nach einer Kartoffel gebückt.
Nur so alle 10 Minuten lösten sich seine Augen mal von seinem Wälzer, ruhten kurz auf den gekrümmten Rücken seiner fleißig sammelnden „Muschkoten“ neben ihm, manchmal kam noch ein kurzes, scharfes Kommando an seinen Soldaten, die Sammelgeschwindigkeit erhöhte sich schlagartig um 100% und dann las er in aller Ruhe weiter in seinem Buch ...

Als Fahrzeugverantwortlicher und Beifahrer bei der täglichen Verlegung der Kompanie zu den Feldern, meist auf der A2 in westlicher Richtung, hatte ich stets nur eine Sorge: Bloß nicht einschlafen und so vielleicht die letzte freie Ausfahrt vor der Staatsgrenze verpassen. Nicht auszudenken, wenn plötzlich ein voll mit Soldaten beladener URAL mitten zwischen den Westkutschen in der GÜST MARIENBORN gestanden hätte, da wäre ich bestimmt in ernsthafte Erklärungsnot bei der Verwaltung 2000 gekommen.

Spätestens ab der 2. Erntewochen dann, als wir von jungen Studentinnen der Ingenieurschule für Landtechnik Haldensleben auf den Feldern unterstützt wurden, waren unsere Soldaten ja so was von begeistert über diesen Ausflug in die Volkswirtschaft ...

Da ich keine Wohnung im Standort BFH hatte und so eh nur alle 4 Wochen mal für ein kurzes WE nach Hause kam, haben mich solche Ausflüge in die Volkswirtschaft in meinem „Privatleben“ auch nicht sonderlich gestört. In einem Börde-Gasthof beim Ernteeinsatz nächtigte es sich allemal angenehmer und vor allem interessanter als in dem drögen Ledigenwohnheim in der Kaserne des Regiments.

Jetzt fällt mir gerade irgendwie auf, wie (bewusst?) verharmlosend oder gar irreführend der offiziell NVA-weite Name „Ledigenwohnheim“ eigentlich war! Ein sehr großer Anteil der Bewohner war ja gar nicht ledig, sondern verheiratet und hatte, meist sehr weit weg, eine Familie samt Kinder, kriegte am Standort aber einfach, oft über Jahre hinweg, keine Wohnung. Die Dinger hätten wohl treffender „Notunterkunft für Wohnungssuchende“ heißen sollen.
Ging mir übrigens dann auch so. Heirat im Sommer 1979 einschließlich sofortige Abgabe Wohnungsantrag und bis zur Versetzung gut 1 Jahr später auch nicht die Spur einer Chance auf eine Wohnung in BFH.

Aber was soll’s, ist lange her.

Beste Grüße - Erik


Frank_Herzig Offline

Großer Stern mit Ehrenkranz


Beiträge: 8.705
Punkte: 372.573

26.09.2013 17:46
#2 RE: "Ernteschlacht" Herbst 1978 Antworten

Hallo Erik,

da hast du ein sehr interessantes Kapitel in unserer Regimentsgeschichte aufgeschlagen. Bestimmt können sich noch viele von an die "Ernteschlachten" oder "VW-Einsätze" erinnern und berichten hier darüber.

Tja, die Zeit im "Ledigenwohnheim" - spitzbübisch auch "Bullenkloster" genannt waren schon eine Erlebnis für sich....

Mal sehen, wer sich aufrafft und erzählt. Ist bestimmt für alle hier interessant und amüsant.

Frank

Frank

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