Ich möchte heute mal an einen Tag erinnern, der sich Anfang der kommenden Woche zum 35. Mal jährt und an dem für die meisten DDR-Bürger damals doch ein erinnerungswürdiges Ereignis stattfand.
Mit geht es aber nicht in erster Linie um dieses damalige Ereignis selbst, sondern wie ich die Auswirkungen ganz konkret in der AklK des MSR-16 an jenem Samstag, den 26.08.1978, erlebt und empfunden habe.
Falls solche, sicher immer subjektiv gefärbten, Erlebnisberichte aus jener Zeit überhaupt jemanden interessieren.
Am letzten heißen und sehr sonnigen Augustwochenende des Jahres 1978 hatte es mich wieder mal, wie fast jedes 2. WE im Wechsel mit Ltn. Strojek, erwischt – „Anwesenheitsdienst“ am Wochenende in der AklK.
Eigentlich ja kein Stressjob, da man „nur“ 4 bis 5 mal pro Tag zu den Schwerpunktzeiten wie Wecken, Esseneinnahmen und Nachruhe in die Kompanie ging, um auch an diesen „freien“ Tagen den Tagesdienstablaufplan der Einheit strikt durchzusetzen. Nervig war nur, dass eben das ganze Wochenende „zerhackt“ war und es kaum lohnte, mal zwischendurch die Kaserne zu verlassen. Und die Soldaten und Uffz. fanden es sicher mindestens genauso nervig, dass ihnen selbst an einem solchen „freien“ Tag auch noch ständig ein Offizier „auf die Ketten“ ging (um es mal vornehm auszudrücken).
An diesem Samstag, den 26.08., lag in den Mittagsstunden irgend etwas in der Luft, genauer gesagt im Weltraum, obwohl es natürlich keinerlei offizielle Informationen gab.
Im Rahmen des Interkosmosprogramms des RGW waren bereits am 02.März 1978 Hauptmann Vladimir Remek aus der CSSR und am 27.Juni 1978 Oberstleutnant Miroslaw Hermanszewski aus Polen mit Sojus-Raumschiffen zur Raumstation Saljut-6 gestartet, obwohl, so meinten wir damals etwas überheblich, dieses „Recht“ eines Erstkosmonauten der sozialistischen Staaten eigentlich unserer kleinen DDR als damals eifrigstem Musterschüler der UdSSR zugestanden hätte (10 Jahre später sah das dann ganz anders aus).
Trotz fehlender Informationen wurde bereits seit Tagen überall im Regiment heftig spekuliert, dass es eventuell genau an diesem Wochenende passieren könnte mit dem Start eines DDR-Kosmonauten, irgendwas musste also doch über die offizielle Linie, gewollt oder ungewollt, durchgesickert sein. Diese besondere Stimmung merkte man bereits bei der Einweisung der Anwesenheitsdienste (Leitungsdienste) aus den MSB’s, dem PB und den Sondereinheiten gegen 13.00 Uhr durch den diensthabenden Stellvertreter der Regimentsführung, ich glaub, es war an dem Wochenende der StSC Major Brettschneider, bin mir da aber unsicher.
Fast wie bei einer Vergatterung wurden wir angewiesen, in den Dienstzimmern bzw. im Ledigenwohnheim ja ständig am Radio zu verfolgen, ob irgendwelche Sondermeldungen über den erfolgten Start des ersten DDR-Kosmonauten gesendet werden. Falls dies der Fall war, sollten wir uns sofort in unsere Einheiten begeben, dort unverzüglich den Gemeinschaftsempfang der zu erwartenden Sondersendungen des DDR-Fernsehens organisieren und in den Kompanien weitere Weisungen über die Wechselsprechanlage abwarten.
Und dann war es soweit, irgendwann kurz vor 16.00 Uhr kam auf allen Sendern die ADN-Meldung über den erfolgten Start des ersten DDR-Bürgers in den Kosmos.
Als noch sehr junger und vor allem dienstbeflissener Offizier hastete ich natürlich sofort in den Kompaniebereich der AklK und „scheuchte“ die Soldaten und UaZ aus ihren Stuben in den Fernsehraum zum Empfang der permanent laufenden Sondersendungen.
Obwohl die Soldaten in ihrer nachmittäglichen Ruhe gestört wurden, herrschte bei Bekanntgabe der Nachricht bei eigentlich allen Armeeangehörigen der Kompanie nach meiner Erinnerung anfangs eine begeisterte, ja fast euphorische Stimmung. Man war stolz, dass der erste Deutsche im All aus der DDR und sogar aus der NVA kam. Niemand maulte, sondern man saß im voll besetzten Clubraum vor dem Fernsehapparat und verfolgte doch recht gebannt die Sendung.
Über die Wechselsprechanlage kam dann nach wenigen Minuten die Weisung an die Verantwortlichen in den Einheiten, den regelmäßigen Gemeinschaftsempfang sicherzustellen und, ich glaub stündlich, einen aktuellen „Stimmungs- und Meinungsbericht“ der Armeeangehörigen der Einheit an die Arbeitsgruppe für politische Arbeit (AGPA) durchzugeben. Diesen ersten Bericht hab ich dann auch telefonisch an den für uns zuständigen Offizier der AGPA des Regiments (Hauptmann Adelsberger oder Major Borchert, weiß ich nicht mehr genau), durchgegeben und darin über die tatsächlich vorhandene reale Begeisterung der Soldaten und Unteroffiziere berichtet.
Irgendwann nach 17.00 Uhr leerte sich dann langsam der Fernsehraum wieder, die Neuigkeit war den Soldaten ja nun aus der mehr als 1-stündigen Sondersendung in aller Ausführlichkeit bekannt und nun wollten sie halt wieder unter sich sein und ihren wenigen in der Kaserne möglichen individuellen Freizeitinteressen (Karten spielen, abruhen, Briefe schreiben, Kaffee trinken, klönen usw.) nachgehen.
Fand ich auch o.k. und ganz normal.
Nicht so unsere höheren Vorgesetzten.
Wohl zu jeder vollen Stunde lief im Fernsehprogramm bis in die späten Abendstunden eine immer wieder nahezu gleiche Sondersendung als „Endlosschleife“, denn wirklich Neues gab es ja nach der Erstmeldung vom Nachmittag nicht mehr zu berichten, die Zeit der Satelliten-Konferenzschaltungen war ja noch nicht angebrochen. Aber es wurde kategorisch verlangt, dass auch all diese weiteren Sondersendungen in den Einheiten bis zur Nachtruhe immer wieder als Gemeinschaftspflichtempfang für alle AA in den Fernsehräumen zu organisieren sein, also rein in den Fernsehraum, nach 30 min. wieder raus, zur nächsten vollen Stunde wieder rein, dann wieder raus ... und das über Stunden ...
Die anfangs am Nachmittag wirklich gute und begeisterte Stimmung der Soldaten über den Weltraumflug von Siegmund Jähn, endlich mal verbunden mit so etwas wie Stolz auf ihre kleine DDR, schien durch diese sinnlose Maßnahme dann in den frühen Abendstunden irgendwann zu kippen; aus der befehlsgemäß im Fernsehraum sitzenden Menge hörte man vermehrt mehr und mehr halblaute, genervte Kommentare wie
- „schon x-mal gesehen“, - „wie oft denn nun noch“ usw.
Wir hatten es mal wieder geschafft: Eine positive Grundstimmung und Haltung der Truppe verkehrte sich durch eine undurchdachte Holzhammermethode unweigerlich voll in’s Gegenteil.
Irgendwie hab ich das deutlich gespürt und hab die Soldaten dann ab ca. 18.00 Uhr schlichtweg „in Frieden“ gelassen und keinen mehr in den Fernsehraum befohlen, trotz andersartig lautender Befehle.
Natürlich wollte die AGPA des Regiments auch weiterhin bis zur Nachtruhe ihre regelmäßigen Stimmungs- und Meinungsberichte. Die haben sie von mir auch bekommen, so was konnte man ja, Dank einschlägiger Erfahrungen, gekonnt und im Schlaf aus dem Ärmel schütteln.
„Sold. Schmidt ist der Meinung, dass ....“, „Gefr. Müller lobt die Partei- und Staatsführung und hebt hervor, dass ....“, „Uffz. Lehmann würdigt besonders die Rolle der ...“, „das gesamte Kollektiv vertritt einhellig die Meinung, dass ...“ usw.
Die Schuld für solche aus psychologisch-pädagogischer Sicht behämmerten Befehle gebe ich nicht mal in erster Linie den Offizieren der AGPA des Regiments – die standen sicher auch unter enormem Meldedruck an ihre Vorgesetzten in der Politabteilung der Division und die wiederum wurden vom Militärbezirk mit Anrufen zum Stimmungs- und Meinungsbild in der Division bombardiert ... und dann kam das KdoLaSK und dann das MfNV und dann die Sicherheitsabteilung des ZK ....
Und von Stufe zu Stufe wurden, meist im „gutgemeinten“ und vorauseilendem Gehorsam, immer ein paar weitere störende Ecken und Kanten weggeschönt.
Und das lief eben nicht nur auf der „Politschiene“ so, auch bei den Kommandeuren und Operativen war es, wenn auch mit anderen Sachverhalten und Inhalten, nicht wesentlich anders.
Ich schließe mich da ausdrücklich mit ein.
Insofern bringt es aus meiner Sicht auch nichts, heutzutage einseitig allen damaligen Ungemach allein auf die ehemaligen Politoffiziere zu schieben.
Niemand stand z.B. am 26.08.1978 einfach mal auf und sagte zu seinem Vorgesetzten:
„Tolle Sache, alle haben sich gefreut und sind stolz auf ihr Land, aber nun lasst uns mal langsam wieder zur normalen Tagesordnung übergehen“.
Ich übrigens auch nicht.
Ob das aktuell heute in den großen Firmen oder Behörden unseres Landes im Prinzip wesentlich anders läuft, wage ich mal zu bezweifeln, aber das ist wieder eine ganz andere Frage.
So sehe ich das zumindest heute, nach Jahrzehnten mit gewachsener Lebenserfahrung und sicher auch vielem kritischen und selbstkritischem Nachdenken.
Hat denn einer der User hier auch noch irgendwelche konkreten Erinnerungen an diesen Tag, egal, ob er ihn nun im MSR-16 oder sonst wo erlebt hat?
Wir hier im Forum dürften problemlos alle Drei noch erkennen, bei unseren Kindern und Enkeln wird’s schon dünne und unsere Urenkel zucken dann nur noch mit den Schultern – aber das ist wohl der Lauf der Welt, überall und zu allen Zeiten.
Ja Erik, ich habe noch Erinnerungen an diesen 28.08.1978. Ich war damals 11 Jahre alt und kam vom Sportplatz . Unsere Fußballmannschaft von Aktivist Gräfenhainichen, hatten ein Heimspiel (damals 3. Liga, Bezirksliga Halle). Ich hatte mein kleines Radio mit, um während des Spiels noch die Übertragung der Oberliga zu hören. Da ereichte mich die Nachricht vom ersten Deutschen im Weltall. Der 26.08. sollte aber für mich persönlich 10 Jahre später auch ein historischer Tag werden. Am 26.08.88 gegen 6.00 Uhr kam der Josef zu uns in die Kompanie, trommelte alle EK´s zusammen und führte uns durchs KDL 1 raus. Ich hätte vor meiner Entlassung wenigstens noch gefrühstückt. Nichts gabs. Ja, Josef, es gibt Dinge die vergisst man halt nicht. Aus dieser Geschichte kommst Du nicht mehr raus! So werde ich am Montag den 26.08.2013 den 25. Jahrestag meiner Entlassung feiern!!!
Nochmal zu Sigmund Jähn, er wurde ja zum Held. Überall hingen Plakate mit Ihm. Und so wurde es ein Fall für die Stasi, denn der Direktor der Hilfsschule hing auch Plakate auf. Ein Bild von S. J. und darunter stand: Sigmund Jähn , EINER VON UNS! Ich denke mal, er hatte es nicht so gemeint.
________________________________________________________________________________________________ Ihr sind nicht hier um Eueren Dienst zu machen, ihr wollt mir einen reindrehen! (Major Karl, Panzerstab)