Das Geheimprojekt »Schnöggersburg« Militärische Übungsstadt in der Altmark: Landtag und Bevölkerung vor vollendete Tatsachen gestellt Susan Bonath
Ob Panzerbesichtigung zum jährlichen Tag der offenen Tür, mediale Lobgesänge auf Arbeitsplätze oder eine »Truppenparade« in der zivilen Welt – die Bundeswehr im Norden Sachsen-Anhalts, der Altmark, gibt sich »bürgernah«. Doch die »Transparenz« hat ihre Grenzen. Sechs Jahre lang plante das Militär auf dem Gefechtsübungszentrum das 100-Millionen-Projekt »Schnöggersburg« – vorbei am Landtag in Magdeburg und an der Öffentlichkeit. Mit »Schnöggersburg« soll auf 6,5 Quadratkilometern ein »urbaner Ballungsraum« entstehen, in dem Soldaten den Städtekampf trainieren. »Wir fangen mit dem Bau einer Altstadt an einem künstlichen Flußlauf an. Dann folgen Industrie- und Wohnviertel, Infrastruktur, U-Bahntunnel und rundherum landwirtschaftliche Betriebe – wie das überall auf der Welt zu finden ist«, erklärte der Leiter des Gefechtsübungszentrums (GÜZ) Altmark, Dieter Sladeczek, als er das Vorhaben zum ersten Mal öffentlich präsentierte. An diesem 20. Juni 2012 waren die Verträge längst besiegelt. Bis dahin drang so gut wie nichts nach außen. Lediglich die Altmarkzeitung erwähnte 2010 in einem Bericht über »künftige Projekte auf dem Truppenübungsplatz«, daß auf dem GÜZ-Areal eine »Übungsstadt in Containerbauweise« entstehen werde. Dies sei aber nur ein Projekt von vielen, für die man »in den nächsten Jahren« insgesamt rund 13,6 Millionen Euro ausgeben werde. Anschließend herrschte Stillschweigen um den »Bundeswehr-Geheimplan«. Erst im Mai dieses Jahres rückte die Bundeswehr gegenüber der Mitteldeutschen Zeitung einige Zahlen heraus, die das tatsächliche finanzielle und logistische Ausmaß der Pläne erahnen ließen. Das war der Zeitpunkt, an dem Kriegsgegner für ihr antimilitaristisches Camp zu werben begannen, das in der vergangenen Woche in der Colbitz-Letzlinger Heide stattfand. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich der geplante Bau der Militärstadt durch die Medien. Sachsen-Anhalts Linksfraktion fühlte sich hintergangen, sprach von »Geheimniskrämerei«. In einer Großen Anfrage will sie von der Landesregierung wissen, weshalb der Landtag nicht informiert wurde, weder über den Plan noch über umweltschutzrechtliche Aspekte, »obwohl die Heide Naturschutzgebiet ist«. Einige der Gründe für die Geheimhaltung der Kampfstadtpläne läßt die Antwort auf die Kleine Anfrage der linken Bundestagsabgeordneten Inge Höger vom 31. August vermuten (liegt jW vor). Auf die Frage, weshalb Kampfszenarien in einer modernen Stadt geübt werden sollen, die nicht den Gegebenheiten derzeitiger Einsatzorte entspreche, räumte die Bundesregierung ein, daß es auch um die Vorbereitung für Einsätze im Inneren gehe. Dazu gehörten etwa »Verteidigungsaufgaben auf deutschem Hoheitsgebiet« oder »Amtshilfe bei Naturkatastrophen, zum Schutz kritischer Infrastruktur und bei innerem Notstand«. »Der Einsatz der Bundeswehr im Inland erfolgt im Rahmen der rechtlichen Vorgaben. Das gilt auch für das Ausbildungs- und Übungsgeschehen im GÜZ«, verwies die Regierung auf das entsprechende Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Mitte August. Linke und Kriegsgegner sehen sich damit in ihrer Annahme bestätigt: Hier solle offenbar die Bekämpfung sozialer Unruhen geübt werden. Zudem geht aus den Ausführungen der Regierung hervor, daß »Schnöggersburg« ab 2014 von »einem privaten Unternehmer« betrieben werden soll, ebenso wie das übrige Militärgelände. GÜZ-Betreiber ist Europas größter Waffenhersteller Rheinmetall, der schon im Zweiten Weltkrieg Rüstungsgüter und Munition im Auftrag des damaligen Reichskriegsministeriums fertigte. Seit 2000 habe die Regierung an »private GÜZ- Betreiber« 267 Millionen Euro gezahlt, heißt es.