Ex-Geheimdienstchef: Beim Verfassungsschutz hätten alle NSU-Akten beschlagnahmt werden müssen. Gespräch mit Elmar Schmähling
Interview: Peter Wolter
Elmar Schmähling war Flottillenadmiral der Bundesmarine und von 1982 bis 1983 Chef des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) der Bundeswehr
Im Zusammenhang mit dem Skandal um die Terrorgruppe NSU hat Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) die Auflösung des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) der Bundeswehr gefordert. Was sagen Sie dazu? Für diesen Geheimdienst waren Sie ja schließlich mal als Chef verantwortlich.
Ein sehr guter Vorschlag, den die Ministerin da gemacht hat. Man kann darüber streiten, ob es für die Existenz des MAD früher eine ausreichende Begründung gab – heute fällt mir allerdings kein Argument mehr ein, warum man diesen Dienst behalten sollte. Er ist überflüssig wie ein Kropf. Welche Argumente wären Ihnen denn früher eingefallen?
Solange sich die Militärblöcke Warschauer Pakt und NATO gegenüber standen, haben sich beide vom jeweils anderen bedroht gefühlt – da war es verständlich, daß sie sich irgendwie zu schützen suchten. Diese Konstellation gibt es seit über zwei Jahrzehnten nicht mehr.
Der MAD hatte drei Aufgaben, vermutlich gilt das auch heute noch: Sicherheitsüberprüfungen zum Schutz vor Spionage sowie die Aufklärung von Sabotage und verfassungsfeindlichen Bestrebungen gegen die Bundeswehr.
Sicherheitsüberprüfungen können auch von zivilen Behörden übernommen werden. Da reicht es festzustellen, ob der Betreffende auf dem Boden des Grundgesetzes steht. Früher haben wir ja auch herausfinden wollen, ob er möglicherweise eine »falsche« sexuelle Orientierung oder Schulden hat. Kann man sich schenken.
Sabotageabwehr: Wenn auf einem Kasernengelände ein LKW angezündet wird, ist das eine Straftat – somit ein Fall für die Polizei. Auch dafür braucht man also keinen MAD. Was verfassungsfeindliche Bestrebungen angeht, da reicht es, wenn man sich – wie jeder andere auch – gründlich die Zeitungen durchliest. Das habe ich früher auch schon gepredigt. Unter dem Strich gibt es also keine sinnvollen Aufgaben für einen militärischen Nachrichtendienst wie den MAD. Einschließlich aller Landesämter für Verfassungsschutz leistet sich Deutschland insgesamt 19 Geheimdienste – es dürfte wohl kaum ein Land geben, das mehr hat. Welche wären denn außer dem MAD noch überflüssig?
Alle. Die Verfassungsschutzbehörden sind sowieso alte Zöpfe. An denen halten sich die Posteninhaber fest, die Bezieher von Beamtenbezügen. Je mehr davon in einer solchen Behörde beschäftigt sind – von »arbeiten« will ich besser nicht reden! –, desto höher ist auch die Besoldung des jeweiligen Häuptlings.
Das klingt primitiv, ist aber so – diese Leute brauchen wir einfach nicht. Natürlich habe ich Verständnis dafür, daß jeder Staat ein legitimes Interesse daran hat, zu beobachten, ob es störende Kräfte gibt, die gegen ihn arbeiten. Aber auch dafür braucht man keinen Geheimdienst. Wenn Straftaten vorbereitet oder begangen werden, ist die Polizei zuständig und niemand anders. Sie kennen sich in den Strukturen und in der Zusammenarbeit von Geheimdiensten aus. Haben Sie eine Theorie, welche Rolle diese im NSU-Skandal gespielt haben? Waren das ahnunglose Tölpel, zynische Mitwisser oder gar Anstifter?
Ich neige zum ersteren – es war wohl pure Schlampigkeit. Es ist doch kein Geheimnis, daß in den Nachrichtendiensten nicht die hellsten Köpfe der Republik versammelt sind. In der DDR wurde das offenbar anders gehandhabt …
Ja, die haben sich die Besten ausgesucht, was dazu führte, daß die von Generaloberst Markus Wolf geführte Hauptverwaltung Aufklärung sehr erfolgreich war. Bei uns hingegen kursierte damals schon der Witz, daß der Schlager »Es geht eine Träne auf Reisen …« die Nationalhymne des MAD ist. Dieser Geheimdienst wurde oft nicht mal von den eigenen Leuten ernst genommen, der Spott über ihn ist also durchaus berechtigt. Was sagen Sie dazu, daß nach Bekanntwerden des NSU-Skandals bei diversen deutschen Geheimdiensten die Aktenschredder heißliefen?
Wer Akten vernichtet, will in der Regel Spuren verwischen, Schreddern ist ein wichter Teil der Arbeit von Geheimdiensten. Gleich zu Beginn der NSU-Ermittlungen hätte die Staatsanwaltschaft sämtliche einschlägigen Akten der Verfassungsschutzämter und sonstiger Staatsschutzbehörden beschlagnahmen müssen. Auch die Computer hätten sichergestellt werden müssen – es ging ja schließlich um den Verdacht von Straftaten.
Na, da bricht einer ja nicht gerade eine Lanze für seine alte "Firma".
Bei genannten 19 Geheimdiensten in Deutschland, da kann man ja direkt Angst bekommen, wenn man natürlich die 16 Länderdienststellen vom LA f. VS abrechnet, sieht es nicht mehr ganz so gefährlich aus.